Claire Daly ist ganz sicher eine der ungewöhnlichsten Jazzmusikerinnen. Nicht nur deshalb, weil sie das Baritonsaxofon spielt, sondern auch, weil sie so unglaublich viele verschiedene abgefahrene Projekte am Leben hält. Sie scheut sich nicht davor, mit dem Spoken Word Künstler Kirpal Gordon zusammen zu arbeiten oder auch mit dem Beat Box-Ass NapoleonSolo. Als sie herausfindet, daß es in ihrer Familie eine Frau gab, die als erste überhaupt mit einem Schlitten eine zuvor nie befahrene Strecke alleine durch Alaska bewältigte, machte sie daraus eine weitere CD (“Mary Joyce Project”). Sie lädt mich zum Nachmittag zu einer Bariton-Party in ihre Wohnung an der W 23rd ein, zu der auch Howard Johnson kommen wird, aber leider schaffe ich das nicht. Ach ja es gibt von ihr auch ein Projekt mit anderen Baritonsaxofonisten, das sie “Scary Bari” nennt. Verrückte Frau…www.clairedalymusic.com
Ich fahre weiter nach Brooklyn. Hier in Bedford Stuyvesant treffe ich auf Veronica Nunn, die ich während meines Besuches schon mit Michael Franks gesehen habe und mit ihrer eigenen Band in der North Square Lounge. Veronica erzählt mir aufgeregt von ihrer Arbeit in “Brooklyn For Peace”, in dem sich Nachbarn gefunden haben, die sich erfolgreich dafür einsetzen, daß ihre entsprechenden Kongressmitglieder dafür stimmen, statt weiteres Geld für Kriegsherde auszugeben, dieses eher in Kunst- und Kulturprojekte zu stecken. Veronica bringt im nächsten Jahr ihre vierte CD raus. Diesmal mit ausschließlich eigenen Songs. Can’t wait!
Ich bleibe in Brooklyn, fahre aber zu einem völlig anderen Kiez: in Cobble Hill wohnt Pianist Aaron Parks. Seine Karriere hat in den letzten Jahren einen Riesensprung gemacht durch sein letztes Album für Blue Note sowie seine Zusammenarbeit etwa mit Gretchen Parlato oder Derrick Hodge. Aaron hat mit “Arborescence” gerade auf ECM ein Solopiano-Album rausgebracht, das mich völlig umgehauen hat. Er vergleicht seine Improvisationen mit Bäumen, die alle in völlig verschiedene Richtungen wachsen: manche scheinen sich immer nur der Sonne hinzuwenden, bei anderen hat man den Eindruck, als ob sie kurz vorm Umkippen auf einer Seite ganz plötzlich und gerade noch rechtzeitig aufhören, weiter zu wachsen. Sein Konzert am späten Abend in der Jazz Gallery wird frenetisch gefeiert. Sein kontemplatives Spiel scheint alle un Trance zu versetzen. Ich muß an Keith Jarrett und Bill Evans denken. Der Mann ist schon weit gekommen seit seinem Start in der Band von Terence Blanchard.
Es war mein Pianoabend am Freitag. denn zuvor habe ich noch im Birdland einen anderen Pianisten gesehen, den ich sehr schätze: Benny Green. Mit seinem Trio mit Dave Wong (Bass) und Peter Washington (drums) spielt er präzise Bebop lines und stellt viele eigene Kompositionen vor, mit denen er beweist, daß er einer der wenigen Pianisten ist, die mit dem eleganten Spiel eines Tommy Flanagan oder Hank Jones mithalten können. Es muß ja nicht immer nur Experimente und Kinkerlitzchen geben.
Special thanks heute an Caitlin Westfall und gestern an Antje Hübner.
Heute am Samstag bin ich für die AES (Audio Engineering Society) Convention registriert, auf der ich mir drei spannende Panels angucken werde und meinen alten Freund Jim Anderson wiedersehen werde (den mehrfach mit einem Grammy ausgezeichneten Recording Engineer) und ich treffe eine Autorin, die gerade ein sehr spannendes Buch über Interviews mit Jazzmusikern veröffentlicht hat.
A propos Buch: habe gestern noch die Gary Burton-Autobiografie abgeholt….
Matthias Kirsch