Die Bühne im Prince Charles gehört am 31.März erstmal Tommaso Cappellato. Zu viele musikalische Funktionen werden ihm zugeschrieben: DJ, Producer, Komponist, New-School-Hoffnung. An diesem Abend sitzt er einfach hinter seinem Schlagzeug, hat ein paar wenige elektronische Module um sich geschart und scheint von Zuschreibungen nicht viel wissen zu wollen: Zu klopfenden Hölzern führt er ein Selbstgespräch. Mit einer Stimme, die verzerrt ist bis ins unendlich Unerkennbare. Als ich dann irgendwann glaube, doch eine Geschichte zu erkennen, die Cappellato da erzählen will, bricht er ab. Hängt ein kurzes Schlagzeugsolo an, loopt eine Passage, spielt an seinen Synthies herum, bis er offensichtlich gefunden hat, was er will. Er speist ein Vocal ein und als ich kurz die Augen schließe, ahne ich, dass das im Studio wahrscheinlich ähnlich abläuft. So stimmig hört sich dieses Arrangement an.
Und wieder bricht Cappellato die Magik des Moments, indem er sich auf sein Schlagzeugspiel zurückzieht. Immer wieder greift er auf sein großartiges Gefühl für die Schlagstöcke zurück, um von dieser Basis aus auf Entdeckungstour zu gehen. Als er nach etwa einer Stunde das erste Mal zum Mikro greift, meint er völlig außer Atem: „Das war eine Erlösung und eine Kreuzigung zugleich.“ Mir geht es ganz ähnlich. Cappellatos Entdeckungsreisen haben mir einiges gezeigt, was ich noch nie gesehen hatte. Das hat etwas ausgelöst in mir. Aber sie haben mir auch einiges abverlangt. Teilweise ist es schwer Cappellato zu folgen, so unvorhersehbar sind manche seiner Manöver.
Nach einer kurzen Pause kommen dann Mark de Clive-Lowe, Cappellato und ein schläfriger Bassist auf die Bühne. Mark de Clive-Lowe ist weniger nerdig als Cappellato, er hat mehr Lust zu unterhalten. Ein Beamer wirft de Clive-Lowes Arbeitsplatz an die Wand, der sieht das, geht darauf ein, präsentiert stolz wie ein Kind seine Instrumente und spricht dann auch liebevoll und voller Vorfreude von seinen „Toys“.
De Clive-Lowe und Konsorten spielen sich in den folgenden anderthalb Stunden durch ein musikalisches Spektrum, das eine verwirrende Reichweite hat: Ein klassisches Jazzklavier klimpert über energische Drums. Die Vocals der großartigen Soulsängerin Nia Andrews hallen noch durch den Raum, als die schon längst die Bühne verlassen hat, aber de Clive-Lowe spielt so lange an dem Loop, bis er vollkommen in einem neuen Klangteppich eingewoben ist. Eskalierende Latin-Sounds werden beerbt von einem Sun Ra-Cover. Ein taubes Drumgewitter stellt sich hallenden Orgelwänden, die dann von einem HiHat-Schauer niedergerissen werden und das alles wird dann irgendwie zu einem Discobeat, der das Prince Charles geschlossen zum Tanzen bringt. Generell klingt Mark de Clive-Lowe an diesem Abend mehr nach Club, als er das auf Platte sonst tut. Und obwohl er mir damit eine unglaubliche Bandbreite erschließt, klingt das alles nach einem organisch zusammenhängenden Eigengewächs.
Lukas Wessling