Erleichtert betrete ich nach anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten meinen zugewiesenen Block B in der Philharmonie und setze mich auf meinen guten Platz 1 in Reihe 4. Es ist ein wirklich guter Platz. Nicht zu nah und auch nicht zu weit weg von der Bühne. Ich mache mich vertraut mit dem Saal, der mir angenehm erscheint. Nicht zu Pompös. Ich beobachte, die andere Gäste. Die Plätze füllen sich nach und nach, alle paar Minuten wird das Gewusel immer eine Stufe lauter um mich herum. Es ist jedoch ein konstantes, angenehmes Gewusel, so ein „man geht heute aus und sitzt in einem Konzertsaal“ Gewusel. Verschiedene Parfumnoten nehme ich war.
Fast pünktlich betritt der Gitarrist von Avery Sunshine die Bühne, setzt sich hin und fängt schon mal gemütlich an zu Spielen. Kurz darauf erscheint dann auch barfuß über die Bühne tänzelnd, die dazugehörige Sängerin-Avery Sunshine, auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz, dem e-Piano. Avery Sunshine ist quasi die Vorband von Gregory Porter. Schon während des ersten Songs wird man gefordert. Nix mit Entspannen, man soll ordentlich Mitklatschen und Singen. Direkt in der ersten Reihe werden Fotos gemacht. Sunshine spielt das Spiel mit, springt von ihrem e-Piano auf und lässt sich gutgelaunt gleich mit auf den Selfies ablichten. Die Frau hat Power und kann unterhalten. Gegenüber von meinem Block, ertönt zwischendurch ein Haufen weiblicher Fans, die ihn ihrer Gesangsqualität an einen amateurhaften Chor erinnern. Sunshine freut sich darüber und feuert sie an. Nach circa einer Stunde ist Abgang der Musiker, das gemütliche Licht wird wieder hell- Umbauphase für den Hauptakt des Abends. Die Gäste strömen raus, der Saal leert sich für kurze Zeit und dann kommen alle peu á peu mit gefüllten Gläsern wieder rein. Alles beginnt von vorne, das Gewusel steigt wieder ganz langsam an. Mein Augenmerk fällt nebenbei auf den Tontechniker, ganz am Rand der Bühne; er scheint stetig in seinem Element zu sein, selbst bei der pausenfüllenden Umbaumusik wippt er motiviert mit, so wie DJs das eben machen.
Endlich betreten vier schicke Musiker die Bühne, drei davon mit Hut. Der Eine passt von der Statur her zu seinem Instrument, dem Kontrabass. Unter geht er neben diesem jedenfalls nicht. Der Pianist glänzt im schicken bordeauxfarbenen Anzug, der Drummer mit einer Sonnenbrille und ein sehr kleiner Saxofonist macht die Band fast komplett. Aber nur fast. Wo bleibt denn nun Gregory? Und dann ist es endlich soweit. Gregory Porter kommt auf die Bühne.
Die Show beginnt sanft und ruhig. Beim Zweiten Stück gibt Porter schnippend und wippend ein sehr schnelles Tempo vor und wendet sich jedem seiner Musiker wippend und schnippend zu, der gerade ein kleines Solo spielt. In etwa so läuft das gesamte Konzert. Nach jedem ruhigen kommt ein flotterer Titel. Alle Musiker vermitteln Freude und ein harmonisches Miteinander. Beim Song „Alley“ vergesse ich, dass ich mich in einem Konzertsaal befinde, völlig eingefangen von der Person Gregory Porter und seiner warmen Stimme. Beim darauffolgenden Titel bemerke ich aber wieder, dass ich in der Philharmonie sitze-„don‘t lose your stream“. Nun taut der kleine Saxophonspieler auf und swingt ganz dezent ein bisschen. Ach und der Tontechniker, wir erinnern uns, er ist nach wie vor fleißig dabei mit seinen coolen DJ Moves. Jetzt spielt die Porterband einen Song, bei dem der Kontrabassist so richtig loslegt. Kontrabassisten scheinen im Übrigen permanent gutgelaunte und regelrechte Dauerlächler zu sein. Während seines sehr engagierten Zupfsolos bekomme ich richtig Angst, dass seine Saiten jeden Moment reißen können. Das Publikum ist bewegungstechnisch eher verhalten, der ein oder andere Kopf bängt aber doch mal. Gregory Porter ist in der Lage, die Philharmonie auch wunderbar ohne Mikrofon zu Besingen und dabei rastet das Publikum aus, Pfeifen und Jubeln kann es ja, wie schon erwähnt. Wie? Und jetzt? Letztes Lied? Untersteh dich Gregory, da muss noch mehr kommen. Das tut er schließlich auch. Zweimal erneutes Bühnenbetreten der Musiker. Bei Standing Ovations ist der Sänger sichtlich gerührt und bedankt sich sehr herzlich bei seinen Zuhörern, nicht nur verbal, auch noch einmal gesanglich. Leider herrscht parallel in den Zuschauerreihen erster Aufbruch. Doch ein schönes Bild ergibt sich dabei für mich: bereits auf dem Weg zum Ausgang, verweilt das Gregory Porter hungrige Publikum, sobald die Musiker für die Zugaben auftauchen. Am Ende verlassen sie einzeln die Bühne, nachdem sie ihre letzte kleine Soloeinlage des Abends spielen. Der Allerletzte, der übrig bleibt, ist der voll ausgepowerte Drummer, er kann bestimmt gut schlafen.
Der ganze Zauber des Abends scheint wie weggewischt, als ich wieder in der grellen U-Bahn sitze und auf meinem Heimweg bin. Zu kurz alles, viel zu kurz, obwohl mir die Augen schon zu fallen. Das bekannte Tuten der sich schließenden Bahntüren und die Ansagen der Haltestellen, löst langsam die Klänge des Konzertes ab. Es war schön. So schön. In Gedanken werde ich die Lieder noch einmal hören. Sonst wäre es schade um sie. Gute Nacht Berlin.
Marike Otto