Es ist grausam kalt. Selbst der Beach-Look, den der Außenbereich des Yaam pflegt, hilft da nichts. Schnell rein. Eine Menge gut gekleideter Menschen tummeln sich schon vor Bar und Bühne. Dank ihnen und der fetten Heizungsrohre wird mir mollig warm.
Das wird aber schnell zur Nebensächlichkeit: Spätestens als Christian Scott Atunde Adjuah und seine Band auf die Bühne kommen. Anfangs noch etwas unpräzise abgemischt, lassen sie von der ersten Sekunde keinen Zweifel an ihren Absichten. Sie sind gekommen um Berlin zu zeigen, dass sie nicht umsonst gehyped werden. Christian Scott gilt als einer der besten Trompeter zur Zeit, seine Alben verschieben Grenzen. Er ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, ob mit Trompete oder in seinen Ansagen. Er erzählt von seinem Urgroßvater, von Polizeigewalt, von der ‚Family‘, die wir alle sein könnten und dass er deshalb sicher nicht Donald Trump wählt. Er erzählt liebevoll von all seinen Bandmitgliedern. Und zusammen mit ihnen erzählt er Geschichten, in denen so viele Gefühle stecken, dass ich in der Pause erstmal tief nach kalter Luft schnappen muss.
The Robert Glasper Experiment lassen es etwas ruhiger angehen. Ihr Sound ist weniger druckvoll, hinter ihren Geschichten steht weniger Wut und Energie. Ihr Auftritt wird zur entspannten Jam-Session. Und so bleibt Raum für einen Terrace Martin, der plötzlich aus dem Backstagebereich auftaucht, um sich einen Song (Tell Me A Bedtime Story) zu wünschen und ihn dann begeistert auf dem Smartphone zu filmen. Es bleibt Raum für einen überfallartigen Freestyle, viele Freunde auf der Bühne und ein grandioses Wetteifern zwischen Saxofonist Casey Benjamins und Christian Scott, das auch die beiden selbst zu fesseln scheint. The Robert Glasper Experiment nehmen sich genauso viel Raum und Zeit, wie sie brauchen. Deshalb wird das Yaam langsam leerer, vor mir nutzen drei junge Menschen den entstandenen Platz und tanzen ausgelassen.
Als ich um 3Uhr morgens die Sonnenallee herunterlaufe, muss ich daran denken, was Robert Glasper kurz nach Mitternacht gesagt hat, als die Show noch lange nicht vorbei war: „Sometimes shit get’s late.“
Lukas Wessling