von Frank Alkenbrecher

Wes Montgomery: Der Mann des feinen Daumens

Wenn man heute große Gitarristen fragt, wer sie beeinflusst hat, dann hört man von Musikern wie Pat Metheny oder George Benson sofort einen Namen: Wes Montgomery. Der Jazzgitarrist, der sie alle beeinflusst hat, ohne den sie alle anders klingen würden.

Es sind dessen unglaubliche Riffs, die Gitarrenläufe und eine Melodik, wie sie vor und nach ihm nicht mehr vorkamen. Als er viel zu früh 1968 starb, verlor die Welt ein außergewöhnliches Talent.

Dabei sah es zunächst nicht danach aus.

Geboren wurde er am 6. März 1923 in Indianapolis, einer Stadt im mittleren Westen, die in den 50iger Jahren eine lebhafte Klubszene hatte. Er begann in seinen Teenagerjahren mit der Musik, bewunderte Charlie Christian und versuchte seine Lieder nachzuspielen. Mit seinen beiden Brüdern, Monk und Buddy, traten sie als The Montgomery Brothers in den Klubs der Stadt auf.

Er spielte dort, wo er lebte, denn mit Musik allein war jahrelang wenig zu verdienen und sieben Kinder wollten ernährt werden. Tagsüber als Schweißer, Milchmann, Fabrikarbeiter, abends dann mindestens zwei Auftritte, manchmal noch von einer Jamsession gefolgt – das war jahrelang sein Rhythmus.

Für den Geschmack seiner Frau spielte er zu laut, also hatte er die Idee, den Daumen anstatt des Plektrons zu nehmen, und versuchte sich an Oktaven. So entstand dieser „Sound“, der so weich und melodisch klingt. Er hatte nie eine klassische Musikausbildung erhalten, Noten konnte er keine lesen und er spielte alles nur nach Gehör.

Dann kam Cannonball Adderley mit einem Vertrag in der Tasche in die Stadt, holte ihn zum Riverside Label, wo seine besten und schönsten Aufnahmen entstanden. Wenn man das Album hören möchte, auf dem sich sein Talent entfaltete, ist es „The Incredible Jazz Guitar of Wes Montgomery“. Der Titel ist wahrlich nicht übertrieben.  1960 kam das Album heraus, produziert von Orrin Keepnews. In diesem Album hörte man ihn in seiner stärksten Form. Roland Spiegel nannte die Performance „einen Powerdaumen mit Feingefühl“.

Damit begann auch endlich seine Karriere. Norman Granz holte ihn 1964 zu Verve, ein Label, wo die „Großen“ wie Oscar Peterson oder Stan Getz aufnahmen. Hier behielt er seinen Sound, wurde allerdings von Big Bands untermalt, es ging in Richtung Pop, aber sein Sound blieb.

Mit Creed Taylor, einem Starproduzenten der damaligen Zeit, wechselte er zu A & M, nahm dort drei Pop-Alben auf, die ihm seine Fans als „Verrat am Stil der frühen Jahre“ übelnahmen. Hier konnte er allerdings seinen Ruhm vermehren und endlich einmal Geld verdiente.

Er war leider ein Musterbeispiel für den Vermarktungsprozess, dem so viele Jazzmusiker unterworfen sind. Aber was blieb, waren wunderbare Alben der frühen Jahre, die immer wieder durch Wes weichen Klang, die unglaubliche Melodik, die Oktavparallelen und Akkorde erstaunen.

Auf einer Europatournee 1965 entstand in Paris das Livealbum „The Definitive ORTF Recording“. Ein Album, vor dem sich die Wes Fans auch nach annähernd 40 Jahren immer noch verneigen. Es erschien beim Resonance Label, wo man sich zur Aufgabe gemacht hatte, unveröffentlichte Schätze von Stars wie ihm „zu heben“.

Am 15. Juni 1968 erlitt er einen Herzinfarkt. Das kräftezehrende Leben, die späte Karriere und der Druck, als Profimusiker endlich seine Familie ernähren zu können, trugen wohl zu dieser tragischen Entwicklung bei.

Er wurde nur 45 Jahre alt. Die Welt hatte ein Ausnahmetalent verloren.

Empfehlungen zum Weiterhören:

„The Incredible Jazz Guitar of Wes Montgomery“, 1960, Verve

„The Definite ORTF Recording“, Live in Paris 1965, Resonance

Buchempfehlung:

Oliver Dunskus: “Wes Montgomery – Sein Leben, seine Musik“

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